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Psychische Gewalt in Vorarlberg: Positive Bilanz nach Abschluss des femail Präventionsprojekts „Wertvoll und stark!“

By 17. Dezember 2021Allgemein

Das femail FrauenInformationszentrum zieht Bilanz nach Abschluss des Präventionsprojekts „Wertvoll und stark“ gegen psychische Gewalt an Frauen: 125 Anfragen von Frauen zum Thema psychische Gewalt, 220.000 Personen über Social Media Kampagne „Weil es Zeit ist“ erreicht, Screeningtool für Fachpersonal zum schnelleren Erkennen psychischer Gewalt einsatzbereit. „Es ist uns gelungen, das Tabuthema psychische Gewalt vor den Vorhang zu holen, das zeigen nicht zuletzt die konkreten Anfragen im femail – das ist bisher so nicht vorgekommen“, freut sich die Projektinitiatorin beim femail Lea Putz-Erath. „Klar wurde im Projekt aber auch: obwohl psychische Gewalt die häufigste Gewaltform ist, der Frauen ausgesetzt sind – auch in Vorarlberg sind das 40 Prozent – fehlt das Bewusstsein für diese Gewaltform. Hier müssen und werden wir weiter daran arbeiten.“

Workshops und Kampagne geben Betroffenen Worte für erlebte psychische Gewalt
Im Mai wurde die multimediale Kampagne „Weil es Zeit ist – gemeinsam gegen psychische Gewalt an Frauen“ als Teil des Projekts gelauncht. Über Social Media Kanäle konnten 220.000 Personen erreicht werden. Zudem wurde in den Impf- und Teststraßen Vorarlbergs auf Plakaten auf die Kampagne aufmerksam gemacht. Die Kampagne wurde gemeinsam mit Clavis konzipiert und umgesetzt und ist für den Staatspreis PR 2021 erfolgreich nominiert.

In Workshops und Kurzinputs, die im Rahmen des Projekts durchgeführt wurden, konnten 278 Frauen erreicht und über psychische Gewalt informiert und sensibilisiert werden. Ziel dieser Maßnahmen war es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass psychische Gewalt als eigene Gewaltform existiert und weit verbreitet ist. Damit sollte die Fähigkeit erhöht werden psychische Gewalt zu erkennen und zu benennen.

Seit dem Kampagnenstart haben sich 125 betroffene Frauen an femail gewandt, um Hilfe zu erhalten. „Viele Frauen, die sich an unser Beratungsangebot beim femail FrauenInformationszentrum wenden, sind von psychischer Gewalt betroffen. Bisher war es allerdings so, dass die psychische Gewalt mehrheitlich gar nicht als solche erkannt oder benannt
wurde, die Betroffenen litten allerdings an den Folgen. Inzwischen erreichen uns Anfragen konkret zum Thema psychische Gewalt – das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, erklärt femail Psychologin Christa Bauer.

Umfrage in Vorarlberg bestätigt internationale Zahlen – 40 Prozent der Frauen von psychischer
Gewalt betroffen
Teil des Projekts war eine repräsentative Erhebung in der Vorarlberger Bevölkerung zur Wahrnehmung von und Erfahrung mit psychischer Gewalt. Die Umfrage bestätigt internationale Studien: auch in Vorarlberg sind 40 Prozent der Frauen von psychischer Gewalt betroffen. „Es gibt kaum wissenschaftliche Daten zum Thema psychische Gewalt, obwohl es die häufigste Gewaltform ist, der Frauen ausgesetzt sind. Daher war es uns besonders wichtig, eine profunde Datenbasis im Rahmen des Projekts zu schaffen, auch als Referenz für zukünftige Arbeit“, erläutert Projektinitiatorin Lea Putz-Erath diesen wichtigen Teil des Gesamtprojekts.

Frühzeitige Wege aus der Gewaltspirale durch gezielte Screening-Fragen
Psychische Gewalt ist häufig Ausgangspunkt und Türöffner für weitere Gewalt, der Frauen und Mädchen ausgesetzt sind. Denn psychische Gewalt tritt als eigenständige Gewaltform auf, aber psychische Gewalt ist immer Teil der anderen Gewaltformen – oft beginnt die Gewaltspirale mit psychischer Gewalt.

Daher war eines der Ziele des Projekts, psychosoziale Fachkräfte und Fachkräfte im Bereich der Frauengesundheit gezielt zu adressieren und das Bewusstsein für diese Gewaltform zu steigern. Neben einer Fachveranstaltung zum Thema (Primär)prävention von Gewalt am 29. Juni 2021 wurde auch ein Screening-Instrument für Fachkräfte entwickelt, um in Gesprächskontexten besser auf die Fährte dieser Gewaltform zu kommen und mit betroffenen Frauen ggf. früher aktiv werden zu können.

„In unseren Beratungen und Workshops erleben wir, dass es für betroffene Frauen schon sehr entlastend ist, zu erfahren, dass es für Ihre Erfahrungen einen klar definierten Begriff gibt, nämlich psychische Gewalt. Es ist wichtig für die Betroffenen, dass sie offen über ihre Erfahrungen sprechen können und in ihrer Wahrnehmung ernst genommen werden“, so femail Psychologin Christa Bauer.

Medien sind Meinungsmacher
Ob und wie über Sachverhalte berichtet wird, trägt in einer Informationsgesellschaft maßgeblich zur Sensibilisierung der Bevölkerung und Enttabuisierung bei. Um die Rolle der Vorarlberger Medien beim Thema Gewalt an Frauen objektiv einschätzen zu können, wurde im Rahmen des Projekts eine Medienanalyse durchgeführt. Die Medienanalyse erfolgte in Zusammenarbeit mit der Agentur MediaAffairs, die bereits die österreichweite Medienanalyse „Gewalt gegen Frauen –
Jahresstudie 2019“ durchgeführt hatte. Die Analyse umfasste einen Zeitraum von 01.01.2021 bis 30.06.2021. Untersucht wurde die Berichterstattung der Vorarlberger Nachrichten (Print), Vorarlberger Neue Tageszeitung (Print), Vol.at (online) und Vorarlberg Heute (TV).

Key Findings der Medienanalyse
• Die Gewaltberichterstattung in Vorarlberg weicht in vielerlei Hinsicht von der Berichterstattung auf Bundesebene ab. So wird in Relation quantitativ mehr und inhaltlich etwas breiter über Gewalt an Frauen berichtet. Zudem werden stärker die gesamtgesellschaftliche Situation und Gewalt als Gesellschaftsphänomen reflektiert.
• In der medialen Debatte wird den Frauenmorden unter allen Gewaltausprägungen die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Dieser Fokus auf dramatische Mordfälle zeigt sich nicht nur in den Vorarlberger Leitmedien. Noch stärker ausgeprägt ist er in den österreichweiten Medien, wie die MediaAffairs Studie „Gewalt gegen Frauen – Jahresstudie 2019“ zeigt – insbesondere in den Boulevardblättern wie Österreich oder Kronen Zeitung.
• Knapp 30 Prozent der Berichterstattung in den untersuchten Vorarlberger Printmedien können als Positivbeispiele gelungener Berichterstattung gewertet werden. Darin stehen vor allem Aufklärung und Prävention sowie das Aufzeigen von Auswegmöglichkeiten und Anlaufstellen im Vordergrund. Auch die Kampagne von femail wird medial aufgenommen, wodurch psychische Gewalt etwas mehr in den Fokus rückt.
• Bei Art und Weise der Berichterstattung gibt es Verbesserungspotenzial. Etwa ein Drittel der Beiträge enthalten reißerische oder voyeuristische Elemente oder sensible Wordings. Dieser Wert ist im Vergleich zu den bundesweiten Boulevardmedien zwar gering, aber mit Aufklärung, Gesprächen, Bewusstseinsbildung, etc. in den Redaktionen kann dieser Wert sicherlich noch verbessert werden.
• Auf Bundesebene wurden sehr häufig Gewalthandlungen an Frauen verharmlost oder in ein falsches Licht gerückt, weil die Tat nicht korrekt oder nicht als solche benannt wurde. In den Vorarlberger Leitmedien werden in den meisten Fällen (90 Prozent) Taten konkret und korrekt benannt. Es wird auch seltener mit unpassenden Begriffen gearbeitet.
• Es zeigt sich, dass die Politik im Kontext Gewaltprävention eine vergleichsweise geringe Rolle von nur 3 Prozent in der medialen Sichtbarkeit einnimmt. Organisationen, Anlaufstellen sowie Expert:innen nehmen in den Vorarlberger Medien eine wesentlich gewichtigere Rolle ein.

Enge Zusammenarbeit mit Betroffenen erhöht Treffsicherheit der Projektmaßnahmen
Das Projekt wurde von Beginn an von einem Expert:innenbeirat und einem Betroffenenbeirat begleitet. So sollte während der Entwicklung der Kampagne und anderer Projektmaßnahmen die Treffsicherheit sichergestellt werden. Lea Putz-Erath: „Uns war es von Anfang an wichtig, die Stimme von betroffenen Frauen ins Projekt zu holen. Sie konnten am besten beurteilen, welche Maßnahmen es braucht und wo es sie braucht, damit Betroffene erreicht werden. Ihre
Rückmeldungen haben maßgeblich zum Erfolg der Kampagne und des Projekts beigetragen. Der kritische Blick von externen Expert:innen, ermöglichte uns eine hohe Qualität in jedem Schritt.“

Fazit
Das Projekt „Wertvoll und stark“ hat in vielen Bereichen einen Grundstein gelegt, um psychische Gewalt gegen Frauen in Vorarlberg zu minimieren oder gar zu verhindern. Das femail FrauenInformationszentrum wird weiter Workshops zu diesem Thema anbieten und auch die Verbreitung des Screening-Fragebogens vorantreiben.

„Letztlich zeigen Klickraten, mediale Aufmerksamkeit und Website-Statistiken aber klar, dass das Bewusstsein für das Thema psychische Gewalt schnell schwindet, sobald die Kampagnenmaßnahmen enden. Es wird also weitere Bemühungen und Investitionen benötigen, damit psychische Gewaltformen wie Beschimpfungen, abfällige Äußerungen, Isolation, oder das Lächerlich machen in der Öffentlichkeit genauso inakzeptabel werden wie physische Gewalt“, so Lea
Putz-Erath abschließend.

Rückfragehinweis:
Lea Putz-Erath, Projektinitiatorin lea.putz-erath@femail.at, 0699 12735260
Sarah Bard, Geschäftsführerin sarah.bard@femail.at, 0660 3827736
femail – Fraueninformationszentrum Vorarlberg
www.femail.at

Details zum Projekt „Wertvoll und stark!“
Projektdauer: 11.2020 – 10.2021
Projektziel: Die Prävention von psychischer Gewalt und die Verbesserung der Lebensqualität von betroffenen Frauen in Vorarlberg.

Maßnahmen:
• eine repräsentative Erhebung in der Vorarlberger Bevölkerung zur Wahrnehmung von und Erfahrung mit psychischer Gewalt,
• eine Medienanalyse, wie Vorarlberger Medien generell über das Thema Gewalt an Frauen berichten,
• die Entwicklung eines Screening-Instruments für Fachkräfte, um in Gesprächskontexten besser auf die Fährte dieser Gewaltform zu kommen und mit betroffenen Frauen ggf. früher aktiv werden zu können,
• eine Fachveranstaltung zum Thema (Primär)prävention von Gewalt am 29. Juni 2021,
• die Entwicklung von verschiedenen Workshopangeboten für Frauen, die dauerhaft im femail angeboten werden
• eine Kampagne zur Bewusstseinsbildung und –steigerung bei Betroffenen, Fachkräften und der Bevölkerung

Finanzierung durch:
Bundeskanzleramt (Frauenministerin) und Landesgesundheitsförderungsfonds Vorarlberg

Presseaussendung vom femail FrauenInformationszentrum (17.12.2021)