Liebe Familien und Freunde,
Peter hat gerade ein Posting geteilt, das ich hier aufgreifen will. Es geht um eine Begegnung, die mich nicht mehr loslässt.
Wir sitzen im Zug zurück nach Vorarlberg. Klausur hinter uns, Köpfe voll mit Strategien, Konzepten, Zukunftsplänen. Neben uns: Prof. Dr. Alfried Längle, einer der bedeutendsten Existenzanalytiker unserer Zeit. Er nimmt unsere Unterlagen in die Hand, blättert durch, liest. Dann dieser Satz: „Geht auf die konkreten Herausforderungen ein. Nicht abstrakt. Nicht theoretisch. Konkret.“
Was er damit meint, wird mir erst später klar.
Wir reden viel über Werte. Familie als Wert. Zusammenhalt als Wert. Generationengerechtigkeit. Alles richtig. Alles wichtig. Aber Längle hat einen Punkt gemacht, der sitzt: Wertedebatten führen zum Moralisieren. Schnell. Fast unvermeidlich.
Und dann? Dann schalten wir als Menschen einfach ab.
Was wirklich ankommt, ist etwas anderes. Es sind die Geschichten. Die echten Momente. Die Wirren des Lebens, wie sie tatsächlich passieren.
Mich hat bewegt zu hören, wie eine Mutter erzählt, dass sie nicht mehr kann. Nicht die Statistik zur Überlastung von Eltern. Ihre Geschichte.
Mich hat bewegt zu hören, was passiert, wenn ein Elternteil fremdgeht. Nicht die moralische Einordnung. Sondern das Chaos, das danach kommt. Die Kinder, die nicht verstehen. Der Partner, der nicht weiß wohin mit sich.
Das sind die Stellen, wo es wehtut. Wo Menschen Probleme haben und sie selbst nicht verstehen. Wo sie nach Orientierung suchen und keine fertigen Antworten wollen, sondern jemanden, der zuhört.
Und ja: Da können wir nicht immer Lösungen liefern. Manchmal geht etwas schief. Manchmal bleibt es kompliziert. Das auszuhalten, statt reflexhaft einen Ratgeber zu zitieren, ist vielleicht die ehrlichere Haltung.
Aber es gibt auch die anderen Momente. Die, wo es Freude macht. Ein Vater, der zum ersten Mal allein mit seinem Kind auf dem Spielplatz war und erzählt, wie das war. Eine Familie, die nach einer Krise wieder zueinandergefunden hat. Nicht perfekt. Aber echt.
Davon sollten wir mehr erzählen. Weniger Daten, mehr Psychologie. Weniger Theorie, mehr Erlebtes. Dort können sich andere etwas abschneiden.
Prof. Längle hat uns im Zug einen Spiegel vorgehalten. Nicht bequem. Aber notwendig.
Herzliche Grüße,
Guntram Bechtold