In Zeiten, in denen jeder Euro zweimal umgedreht werden muss, nehmen politische Entscheidungen oft abstrakte Formen an. „Aussetzung der Valorisierung“, „Einbehaltung des dritten Drittels der kalten Progression“ – hinter diesen sperrigen Begriffen verbirgt sich ein realer Einschnitt in den Alltag tausender österreichischer Familien. Was bedeutet es konkret, wenn die Familienleistungen nicht mehr mit der Inflation Schritt halten? Wer trägt die Last der budgetären Einsparungen wirklich?
In diesem Beitrag möchte ich hinter die Kulissen des aktuellen Sparpakets blicken und anhand konkreter Beispiele zeigen, was es für Familien mit unterschiedlichen Einkommen und Kinderzahlen bedeutet, wenn der Staat bei der Unterstützung den Rotstift ansetzt. Eine scheinbar kleine Prozentzahl von 2,6% mag auf dem Papier überschaubar wirken – im echten Leben kann sie jedoch den Unterschied zwischen finanzieller Stabilität und prekärer Lage ausmachen.
Hier sind einige Szenarien, die veranschaulichen, welche Probleme und Herausforderungen durch die Nichtvalorisierung der Familienleistungen für Arbeiter mit geringem Einkommen entstehen können:
Szenario 1: Alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern
Ausgangslage:
- Alleinerziehende Mutter arbeitet als Verkäuferin in Teilzeit (25 Stunden/Woche)
- Monatliches Nettoeinkommen: 1.300 €
- Zwei Kinder (5 und 8 Jahre)
- Fixkosten: 700 € Miete, 180 € Betriebskosten, 150 € Energie
Auswirkungen der Nichtvalorisierung:
- Entgangene Valorisierung Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag: ca. 115 € jährlich
- Verhältnis zum Einkommen: Entspricht fast 9% einer Monatsmiete
Herausforderungen:
- Die entgangenen 115 € würden für dringend benötigte Winterschuhe für beide Kinder reichen
- Notwendige Anschaffungen müssen weiter aufgeschoben werden
- Bereits knappe finanzielle Reserven für Notfälle (z.B. Waschmaschinenreparatur) werden weiter reduziert
- Inflation bei Lebensmitteln und Energie wird nicht durch erhöhte Transferleistungen abgefedert
Szenario 2: Junge Familie mit drei Kindern
Ausgangslage:
- Vater arbeitet als Hilfsarbeiter am Bau (Vollzeit, 1.650 € netto)
- Mutter arbeitet als Reinigungskraft (geringfügig, 500 € monatlich)
- Drei Kinder (1, 4 und 7 Jahre)
- Wohnen in einer kleinen Mietwohnung am Stadtrand (85m², 850 € inkl. Betriebskosten)
- Das jüngste Kind benötigt regelmäßig Medikamente wegen Asthma (nicht vollständig von der Krankenkasse abgedeckt)
Auswirkungen der Nichtvalorisierung:
- Entgangene Valorisierung Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag: ca. 190 € jährlich
- Zusätzlich: Entgangene Valorisierung beim Kinderbetreuungsgeld: ca. 140 € jährlich
- Gesamtverlust: ca. 330 € jährlich
Herausforderungen:
- Die Familie hat bereits jetzt Schwierigkeiten, Energierechnungen pünktlich zu bezahlen
- Kindergartenkosten für das mittlere Kind belasten das Budget zusätzlich
- Die entgangene Valorisierung entspricht dem Gegenwert von zwei Monaten Zusatzkosten für Medikamente
- Unerwartete Ausgaben führen schnell zu Zahlungsrückständen und möglicher Verschuldung
- Die Familie kann keine Rücklagen für die Schulausbildung der Kinder bilden
Szenario 3: Familie mit niedrigem Einkommen und pflegebedürftigem Kind
Ausgangslage:
- Beide Eltern arbeiten im Niedriglohnsektor (gemeinsames Einkommen: 2.400 € netto)
- Drei Kinder (6, 10, 12 Jahre), das älteste Kind hat eine Behinderung und benötigt spezielle Betreuung
- Wohnsituation: Genossenschaftswohnung (750 € inkl. Betriebskosten)
- Zusätzliche Kosten für Therapien und Hilfsmittel: ca. 200 € monatlich (nach Abzug staatlicher Unterstützungen)
Auswirkungen der Nichtvalorisierung:
- Entgangene Valorisierung Familienbeihilfe (inkl. erhöhter Satz für Kind mit Behinderung) und Kinderabsetzbetrag: ca. 230 € jährlich
- Potenziell entgangene Valorisierung weiterer Unterstützungsleistungen für Behinderung
Herausforderungen:
- Die Familie benötigt einen speziellen Computer für die Kommunikationshilfe des ältesten Kindes (ca. 800 €)
- Die entgangene Valorisierung verzögert notwendige Anschaffungen für das Kind mit besonderen Bedürfnissen
- Therapiestunden müssen möglicherweise reduziert werden
- Eltern müssen Arbeitsstunden reduzieren, um Betreuungslücken zu schließen, was das Einkommen weiter verringert
- Jede nicht-valorisierte Leistung verstärkt die prekäre finanzielle Situation und erhöht den psychischen Druck auf die gesamte Familie
Zusammenfassung der allgemeinen Probleme durch die Nichtvalorisierung
- Verstärkter Inflationsdruck: Während Lebensmittel-, Energie- und Wohnkosten weiter steigen, bleiben die Unterstützungsleistungen auf dem alten Niveau.
- Kumulative Wirkung: Die Summe aus mehreren nicht-valorisierten Leistungen schafft eine erhebliche Belastung, besonders bei Mehrkindfamilien.
- Langfristige Folgen: Die Aussetzung der Valorisierung für mindestens zwei Jahre (2026-2027) führt zu einem dauerhaften Kaufkraftverlust, da die Valorisierung normalerweise nicht rückwirkend nachgeholt wird.
- Verschärfte soziale Ungleichheit: Familien mit geringem Einkommen sind prozentual stärker betroffen, da die Familienleistungen einen höheren Anteil ihres Gesamtbudgets ausmachen.
- Erhöhtes Armutsrisiko: In Kombination mit der Einbehaltung des dritten Drittels der kalten Progression sind besonders Familien im unteren Einkommensdrittel von Armutsgefährdung betroffen.
Auswirkungen des Sparpakets auf Familien mit mittlerem Einkommen und mehr Kindern
Szenario 4: Familie mit vier Kindern (mittleres Einkommen)
Ausgangslage:
- Vater arbeitet als Facharbeiter in einem Industriebetrieb (Vollzeit, 2.400 € netto)
- Mutter arbeitet als medizinische Assistentin (Teilzeit 25h, 1.600 € netto)
- Vier Kinder (3, 7, 9 und 13 Jahre)
- Eigenheim mit laufendem Kredit (monatliche Rate: 1.100 €)
- Betriebskosten und Energie: 350 € monatlich
- Auto für Arbeitsweg und Schultransport notwendig (monatliche Kosten inkl. Kredit: 450 €)
Auswirkungen der Nichtvalorisierung:
- Entgangene Valorisierung Familienbeihilfe: ca. 15 €/Monat (180 €/Jahr)
- Entgangene Valorisierung Kinderabsetzbetrag: ca. 6,50 €/Monat (78 €/Jahr)
- Entgangene Valorisierung bei erhöhter Geschwisterstaffelung für 4 Kinder: ca. 2 €/Monat (24 €/Jahr)
- Gesamtverlust: ca. 282 €/Jahr
Herausforderungen:
- Trotz „mittlerem Einkommen“ bleibt nach fixen Ausgaben wenig finanzieller Spielraum
- Die Familie muss beim jährlichen Familienurlaub sparen oder diesen ganz streichen
- Nachhilfeunterricht für das älteste Kind (130 € monatlich) wird schwieriger zu finanzieren
- Steigende Energiekosten und Kreditraten (variabel verzinst) verringern das verfügbare Einkommen zusätzlich
- Die entgangene Valorisierung entspricht fast den Kosten für die Schulausstattung eines Kindes zum Schulstart
Szenario 5: Familie mit vier Kindern (geringes Einkommen)
Ausgangslage:
- Alleinverdiener arbeitet als Lagerarbeiter (Vollzeit, 1.800 € netto)
- Partnerin ist in Elternzeit mit dem jüngsten Kind
- Vier Kinder (1, 5, 8 und 10 Jahre)
- Gemeindewohnung (650 € inkl. Betriebskosten)
- Energiekosten: 220 € monatlich
Auswirkungen der Nichtvalorisierung:
- Entgangene Valorisierung Familienbeihilfe: ca. 15 €/Monat (180 €/Jahr)
- Entgangene Valorisierung Kinderabsetzbetrag: ca. 6,50 €/Monat (78 €/Jahr)
- Entgangene Valorisierung Geschwisterstaffelung: ca. 2 €/Monat (24 €/Jahr)
- Entgangene Valorisierung Kinderbetreuungsgeld: ca. 11,50 €/Monat (138 €/Jahr)
- Gesamtverlust: ca. 420 €/Jahr
Herausforderungen:
- Die Familie lebt bereits am existenziellen Minimum
- Der Verlust von 420 € entspricht mehr als einer halben Monatsmiete
- Unvorhergesehene Ausgaben wie Reparaturen oder Schulausflüge können nicht mehr bewältigt werden
- Die Familie muss bei Grundbedürfnissen wie Heizen oder gesunder Ernährung sparen
- Risiko der Überschuldung steigt deutlich, wenn mehrere unerwartete Ausgaben zusammenkommen
- Die Kinder können nicht an kostenpflichtigen Freizeitaktivitäten teilnehmen, was ihre soziale Integration erschwert
Szenario 6: Familie mit sechs Kindern (mittleres Einkommen)
Ausgangslage:
- Vater arbeitet als Techniker (Vollzeit, 2.700 € netto)
- Mutter arbeitet als Bürokraft (Teilzeit 20h, 1.300 € netto)
- Sechs Kinder (2, 4, 7, 10, 13 und 16 Jahre)
- Größere Mietwohnung am Stadtrand (1.200 € inkl. Betriebskosten)
- Zwei ältere Kinder besuchen weiterführende Schulen mit zusätzlichen Kosten für Schulveranstaltungen
- Familien-Van für Transport notwendig (monatliche Kosten: 550 €)
Auswirkungen der Nichtvalorisierung:
- Entgangene Valorisierung Familienbeihilfe: ca. 22,50 €/Monat (270 €/Jahr)
- Entgangene Valorisierung Kinderabsetzbetrag: ca. 9,70 €/Monat (116 €/Jahr)
- Entgangene Valorisierung erhöhte Geschwisterstaffelung für 6 Kinder: ca. 3,50 €/Monat (42 €/Jahr)
- Potentiell entgangene Valorisierung Mehrkindzuschlag: ca. 2 €/Monat (24 €/Jahr)
- Gesamtverlust: ca. 452 €/Jahr
Herausforderungen:
- Trotz höherem Gesamteinkommen ist das Pro-Kopf-Einkommen der Familie niedrig
- Die Familie kann kaum für Notfälle oder größere Anschaffungen sparen
- Höhere Bildungskosten für die älteren Kinder (Schulbücher, Exkursionen, Laptop) belasten das Budget zusätzlich
- Der Verlust entspricht fast den Kosten eines zweimonatigen Musikunterrichts für ein Kind
- Bei diesen Mehrkindfamilien wirkt die nicht-valorisierte Geschwisterstaffelung besonders stark
- Verzicht auf Fördermaßnahmen und außerschulische Aktivitäten für einzelne Kinder wird notwendig
Szenario 7: Familie mit sechs Kindern (geringes Einkommen)
Ausgangslage:
- Vater arbeitet in Schichtdienst (Vollzeit, 1.950 € netto)
- Mutter arbeitet als Reinigungskraft (geringfügig, 500 € monatlich)
- Sechs Kinder (1, 3, 6, 9, 12 und 15 Jahre)
- Leben in einer ländlichen Region mit niedriger Miete aber hohen Transportkosten
- Wohnkosten: 900 € inkl. Betriebskosten
- Zwei ältere Kinder haben Lernförderungsbedarf
Auswirkungen der Nichtvalorisierung:
- Entgangene Valorisierung Familienbeihilfe: ca. 22,50 €/Monat (270 €/Jahr)
- Entgangene Valorisierung Kinderabsetzbetrag: ca. 9,70 €/Monat (116 €/Jahr)
- Entgangene Valorisierung erhöhte Geschwisterstaffelung: ca. 3,50 €/Monat (42 €/Jahr)
- Entgangene Valorisierung Mehrkindzuschlag: ca. 2 €/Monat (24 €/Jahr)
- Entgangene Valorisierung Kinderbetreuungsgeld: ca. 11,50 €/Monat (138 €/Jahr)
- Gesamtverlust: ca. 590 €/Jahr
Herausforderungen:
- Familie ist bereits auf Unterstützung von Sozialorganisationen angewiesen
- Die entgangene Valorisierung entspricht fast zwei Drittel einer Monatsmiete
- Entscheidung zwischen Heizen und gesunder Ernährung wird verschärft
- Die älteren Kinder müssen möglicherweise früher zum Familieneinkommen beitragen, was ihre Bildungschancen beeinträchtigt
- Anträge auf zusätzliche Sozialleistungen werden erforderlich, was bürokratischen Aufwand bedeutet
- Psychische Belastung für die Eltern steigt durch zunehmende Existenzängste
Szenario 8: Familie mit mittlerem Einkommen und besonderem Förderungsbedarf
Ausgangslage:
- Beide Eltern arbeiten im öffentlichen Dienst (gemeinsames Nettoeinkommen: 4.000 €)
- Vier Kinder (5, 8, 12 und 14 Jahre), zwei davon mit besonderem Förderbedarf (ADS, Dyslexie)
- Wohnsituation: Eigentumswohnung mit Kreditbelastung (1.300 € monatlich)
- Zusätzliche Kosten für Therapien und Förderung: 450 € monatlich
- Zwei Autos für Arbeitswege und Therapiefahrten (Gesamtkosten: 700 € monatlich)
Auswirkungen der Nichtvalorisierung:
- Entgangene Valorisierung wie in Szenario 4: ca. 282 €/Jahr
- Entgangene Valorisierung bei Schulbeihilfen und potentiellen Förderungen: ca. 50 €/Jahr
- Gesamtverlust: ca. 332 €/Jahr
Herausforderungen:
- Trotz „gutem“ Einkommen auf dem Papier ist die finanzielle Situation aufgrund der besonderen Bedürfnisse angespannt
- Die entgangene Valorisierung entspricht den Kosten für einen Monat Ergotherapie für ein Kind
- Notwendige Fördermaßnahmen müssen reduziert oder aufgeschoben werden
- Die zusätzliche Belastung führt zu erhöhtem Stress in der Familie
- Langfristige Bildungschancen der Kinder werden beeinträchtigt, wenn an Förderungen gespart werden muss
- Die Familie kann keine ausreichenden Rücklagen für zukünftige Bildungs- und Therapiekosten bilden
Vergleichende Analyse der Auswirkungen auf unterschiedliche Familientypen
Proportionale Belastung
- Familien mit geringem Einkommen: Die entgangene Valorisierung macht 1-2% des Jahreseinkommens aus
- Familien mit mittlerem Einkommen: Die entgangene Valorisierung macht 0,5-0,8% des Jahreseinkommens aus
- Mehrkindfamilien: Der Gesamtverlust steigt linear mit der Kinderzahl, was die Belastung verstärkt
Langfristige Folgen
- Bildungsgerechtigkeit: Einschränkungen bei Nachhilfe, Fördermaßnahmen und Bildungsausgaben betreffen besonders Familien mit mehreren Kindern
- Teilhabe: Verzicht auf soziale und kulturelle Aktivitäten führt zu Einschränkungen der gesellschaftlichen Teilhabe
- Soziale Mobilität: Kinder aus finanziell belasteten Familien haben schlechtere Startbedingungen für ihre Zukunft
- Gesundheitsaspekte: Einsparungen bei Ernährung und Heizkosten können langfristige gesundheitliche Folgen haben
Die Nichtvalorisierung der Familienleistungen wirkt auf den ersten Blick mit monatlich 20-50 € pro Familie moderat, entfaltet aber besonders für Mehrkindfamilien und Familien mit geringem Einkommen eine erhebliche Belastungswirkung, die sich über die Jahre kumuliert und strukturelle Nachteile verstärkt.
Die vorgestellten Szenarien zeigen deutlich: Die Aussetzung der Valorisierung trifft nicht alle gleich. Während für Familien mit höherem Einkommen ein Verlust von einigen hundert Euro jährlich verkraftbar sein mag, stellt dieselbe Summe für Familien am unteren Ende der Einkommensskala eine existenzielle Herausforderung dar. Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass Mehrkindfamilien, die ohnehin schon große wirtschaftliche und logistische Leistungen erbringen, überproportional belastet werden.
Was heute als temporäre Maßnahme zur Budgetsanierung präsentiert wird, könnte morgen zu einer dauerhaften Verringerung des Lebensstandards für viele Kinder in Österreich führen. Die Einsparungen von heute zahlen wir möglicherweise mit Zinsen zurück – in Form von Bildungsdefiziten, verpassten Chancen und erhöhten sozialen Kosten in der Zukunft.
Es liegt an uns allen, eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, wie wir Lasten gerecht verteilen wollen. Eine verantwortungsvolle Budgetpolitik muss die Schwächsten schützen, statt bei ihnen zu sparen. Lassen Sie uns das Sparpaket kritisch hinterfragen und für eine Politik eintreten, die Familien stärkt statt schwächt. Denn Investitionen in Familien und Kinder sind keine Belastung für das Budget – sie sind Investitionen in unsere gemeinsame Zukunft.
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